Zingraff lebt seit 25 Jahren an der Costa Blanca (CBN 7.-13. Februar 1997/686, Claudia Peter)
Von der Vernunft zum Gefühl
"Ich will Bilder malen, die etwas Positives rüberbringen. Schwermütiges möchte ich nicht thematisieren." Unter dieser Maxime malt der Deutsche Hans-Dieter Zingraff seit einem Vierteljahrhundert in seinem Haus am Montgó. Doch nicht nur das. Wenn Bildteile trocknen, repariert der gebürtige Karlsruher Keramik oder restauriert Möbel. Und ein Auto hat er sich auch schon gebaut. Die Liste seiner Ausstellungen und Kunstpreise ist lang. Zingraffsche Werke, deren Entstehen der Künstler selbst als "aufregend und abenteuerlich" erlebt, sind unter anderem im Spanischen Museum für Konstruktivismus in Marbella sowie in den Omjet-Museen von Tunis und Kairo fester Teil der Bestände. Unter dem Titel "Von der Vernunft zum Gefühl" zeigt das Kulturhaus in Alcoy bis Ende Februar eine umfassende Zingraff-Einzelausstellung mit 60 Werken.Eigentlich hätte der 1947 in Karlsruhe geborene Zingraff Ingenieur werden sollen. Aber der Sohn eines elektrotechnischen Inspektionsunternehmers hatte andere Pläne. Als Internatszögling in Mannheim einmal seine große malerische und zeichnerische Begabung im Kunstunterricht entdeckt, fand er an der Ingenieurschule wenig Gefallen, wurde lieber von 1969 bis 1972 Privatschüler bei Dieter Rick, Professor an der Kunstakademie in Karlsruhe. Die Ausbildung war solide und komplex: Kunst am Bau, Möbeldesign, Glasmalerei, Werbegraphik und Kunstmalerei. "Und dann fing es an, dass ich alle möglichen Ideen hatte, die Rick aufnahm und mir bei der technischen Umsetzung geholfen hat."
Zimmer als reine Illusion
So malte Zingraff 1969 das Treppenhaus im elterlichen Haus aus. Der Clou: Eine Wand geriet so illusionistisch, dass Besucher glaubten, ein nicht existierendes Zimmer betreten zu können. Raum und Licht ; diese beiden Elemente haben Zingraff immer interessiert. Auch auf seinen Reisen und Studienaufenthalten in Brasilien, Frankreich, Türkei, Jugoslawien, Griechenland und Italien. "Ich wollte viel sehen, und es hat mich immer ans Meer gezogen. Ich träumte davon, am Meer in diesem so speziellen Sonnenlicht zu malen, denn mir war klar, dass meine Bilder in Deutschland düster und trist werden." Und so war Zingraff Anfang der 70er Jahre auf der Suche nach einem für seine Bedürfnisse geeigneten Küstenort. Unterwegs malte er wirklichkeitsgetreu Landschaften und Stadtansichten in Aquarell und Wachskreide in Farbe und als Grisaillen. "Auch Gebäude und die Ausstrahlung von Plätzen interessierten mich schon damals sehr. Die Wirkung der Volumen, des Lichts, des Raumes."
Der Reiz leerer Wände
Zunächst klapperte er Italien und dann die französische und spanische Atlantikküste ab, "aber da war alles so grün, fast wie in der Schweiz." Erst auf dem Rückweg über Lissabon, Sevilla, Cádiz, Málaga und Alicante fand Zingraff die seinen Vorstellungen entsprechende "karge Landschaft". Und dann ging alles recht schnell. Bereits 1972 war Zingraff Besitzer eines der ersten Häuser an Dénias Montgó-Nordhang. Und wieder reizten ihn die leeren Wände. Doch statt Illusionsmalerei entstand im Turmzimmer des Neubaus nun eine seiner ersten und damit wegweisenden geometrisch-abstrakten Kompositionen überhaupt. Für Tafelbilder dieses Stils war die Zeit allerdings noch nicht reif. Vielmehr schuf er sozialkritische Collagen zu Themen wie Vereinsamung in Großstädten, Drogen, Umweltverschmutzung und Zeitmangel: "Ich verstand diese Arbeiten nicht politisch, sondern lediglich als Feststellungen darüber, was eben so passiert." Was in seiner direkten Umgebung passierte "überall schossen Rohbauten wie Pilze aus dem Boden", " nahm der Künstler als rasend schnelle Entwicklung eines Fischerdörfchens zur regelrechten Stadt" wahr: "Ich fand Dénia vorher schön, aber heute auch gut."
Bildmotiv Rennstrecke
Werke seiner sozialkritischen Arbeitsperiode stellte Zingraff 1979 in Dénias Kulturhaus aus. Mit durchschlagendem Erfolg. "Unheimlich viele Leute sahen die Ausstellung, in der ich unter anderem eine Installation des verschmutzten Meeresgrundes zeigte. Eine Nonne - sie war Lehrerin - fragte mich, ob sie mit ihrer Schulklasse kommen dürfe. Das fand ich enorm."
In jenen Jahren malte er auch eine Serie mit Motiven von Autorennen. Zu den Elementen Raum und Licht gesellte sich der Faktor Geschwindigkeit. Kein Zufall. Im Internat in Mannheim hatte Zingraff das Zimmer mit einem Jungen namens Jochen Maass geteilt. Diesen guten Freund, Ex-Formel-1-Pilot, begleitete er jahrelang zu Rennen, fuhr ab und zu als Copilot ein paar Trainingsrunden mit. Die Freundschaft besteht noch heute. Zingraffs Autoleidenschaft auch. Mit einem anderen Freund, Horst Zuther alias Hotte, montierte der Künstler im Hof seines Hauses in Dénia Mitte der 80er Jahre einen Bugatti-Bausatz auf ein VW-Käfer-Chassis. Die Operation glückte. Sechs Jahre lang fuhr der Künstler den blauen Bugatti Marke Eigenbau.
Hobby für Zwangspause
Doch Automechanik ist nicht das einzige Handwerk, auf das sich der Badener versteht. In malerischen Zwangspausen, das heißt, wenn Farbschichten eines Bildes trocknen, repariert er zu Bruch gegangene Keramik oder restauriert Möbel und Bilderrahmen. Ursache dieses Hobbys, "das entspannt, aber nicht allzusehr von der Konzentration auf die Malerei ablenkt", war eine ehemalige Putzfrau: "Die hat so viele Erinnerungsstücke zertrümmert, dass ich gezwungenermaßen Spezialist im Zusammenkleben von Figürchen und anderen Dingen wurde." Die Putzfrau ist inzwischen entlassen.
Mitte der 80er Jahre fühlte sich Zingraff von seinen bis dahin ziemlich eindeutig sozialkritischen Botschaften, zusehends eingeengt. "Mich hinderten diese gezielt formulierten Themen an freier malerischer Gestaltung. Ich sagte mir, dass ich ja dann auch schreiben oder in die Politik gehen könnte. Das wollte ich aber nicht."
So wie es einst...
Zingraff wollte lieber malen. Und zwar gestalterisch frei, durchkonzipiert und diszipliniert. Um 1985 war sein persönlicher Konstruktivismus, dem er bis heute treu geblieben ist, ausgebildet: Nuanciert gemalte Farbabstufungen, Schatten und Überschneidungen wecken die Illusion intakter Bildräume, reine Farbfelder und eingeklebte collagierte Architekturausschnitte heben den Effekt auf. Ein Spiel zwischen Sein und Schein so wie es einst im Karlsruher Treppenhaus seinen Anfang genommen hat.
Claudia Peter