Viele der gezeigten Werke stehen zum Verkauf. Bei Interesse kontaktieren Sie uns gerne unter monazingraff@gmail.com oder +34 639 974 776

Hans-Dieter Zingraff in der Galerie Atlántica Ánxeles Penas. (In: A Coruña, 24. Juni 2001)

Der in Spanien lebende deutsche Künstler Hans-Dieter Zingraff stellt erstmals in unserer Stadt aus. Zu sehen sind abstrakte Werke des weit verbreiteten Geometrismus, allerdings durch äußerst ungewöhnliche Ausführung auffallen. Seine Geometrie bricht mit den konventionellen Regeln der "Geometrie", um bisher unbekannte Architektur, überraschende Raumbeziehungen und plastische Landschaften zu schaffen, in denen Schwerkraft und übliches Gleichgewicht aufgehoben sind. Unergründliche Kräfte halten diese schwebende oder am Rande des Abgrundes stehenden Kompositionen zusammen.

Seine Lieblingsformen sind Rechtecke und Trapezformen, die oft auf Schrägen oder gekippten Flächen ruhen und die Standfestigkeit des Horizontalen in Frage stellen. Es entstehen Dynamik und Kompositionen, die sich jenseits des Formats fortsetzen. Das Dreidimensionale scheint angedeutet, wie es für "Trompe L'Oueil" üblich ist. Zingraff erreicht diese Wirkung auf neue Art und Weise, und zwar durch eingeklebte Fotos mit Architekturabbildungen, die irreal beziehungsweise unglaubwürdig angeordnet sind; ferner durch die Überlagerung von zwei oder mehr Ebenen in deutlichem Abstand; und außerdem durch Lampen hinter den Bildern, die ein erlesenes Hell-Dunkel erzeugen. Das Zusammenwirken aller Faktoren erzeugt den Eindruck vieler übereinandergeschichteten Perspektiven, Elemente, die sich aufeinander beziehen und einander durchdringen, wie nach innen und außen wirkende Gefäße, die sich je nach Sicht des Betrachters vexierbildartig verändern.
So kippt etwas, das auf den Blick nach vorn zu ragen scheint, im nächsten Moment in eine unendliche Tiefe nach hinten. Ähnlich wechselhaft sind Vertikale und Horizontale. Was Dach ist, kann Boden sein, was Wand ist, kann weite Ebene sein, Himmel kann zu Meer werden, der Winkel des flachen Frieses eines modernen Hauses zum Dreiecks- oder Pagodendach.
Was Hans-Dieter uns bietet, sind Metaphern der Wahrnehmung, die in gewisser Weise an die labyrinthischen Gebäude von Escher erinnern, die im Zweidimensionalen beweisen, dass Oben und Unten sowie Hinten und Vorn nichts weiter als visuelle Tricks sind, die dank der Konventionen virtuelle Darstellungen sind.

Auch diese Fallen deckt der deutsche Maler auf und zwar so, dass seine Konstruktionen den Betrachter fesseln. Trotz kompositorischer Nüchternheit öffnet sie viel Raum für Fantasie, Fenster, die noch nie gesehenen Landschaften zeigen, Luken tiefster Nacht, gläserne Flure und Korridore, durchsichtige Bereiche in glänzenden Flächen, ein Netz von Verbindungsgängen aus Galerien, Stegen und Treppen, die ins Verborgene führen. Diese Werken wirken verstandesbetont. Tatsächlich sind sie magische Landschaften mit Rissen und "Wurmlöchern" (wie Astrophysiker sagen), die schnellen Zugang in andere Universien oder in die so häufig erwähnte vierte Dimension ermöglichen. Die Fortführung der Ebenen ist Metonymie des Fernen und das vom Auge nicht Abschätzbare. Indem Zingraff mehrere Fluchtpunkte verwendet, verstärkt er die Wirkung ineinandergreifender Räume und übereinander geschichteter Ebenen.
Der Farbauftrag in flachen, zarten, schillernden Tönen unterstützt den Eindruck von Harmonie und Ruhe, den die Senkrechten wieder einschränken. Es scheinen begehbare, von Menschen für Menschen geschaffene Räume. Aber machen wir uns nichts vor: Hinter diesem Eindruck der Stille und Bewegungslosigkeit lauert Unruhe. Parallelen streben auseinander, Würfel werden zu Pyramiden und das Grenzenlose lockt aus den von uns gemachten Kästen, um uns auf den Weg nach der eigenen inneren Suche zu machen, auf den Pfad, der zu Überwirklichkeit und unbekannten Geografien führt.

Konstruktivistische Widersprüche

Zingraff - ein Musterkonstruktivist von ausgewählter Eleganz, großer Sensibilität für klare Form und Farbe und vor allem voller Beherrschung des sich in eine ambivalente Anspielung auf Realität und Virtualität verwandelnden Raumes. Maler und Architekten der Renaissance beschäftigten sich mit Dingen, wie Licht, Geometrie, Perspektive, Panorama und Beherrschung des Raumes. Ihr Beitrag bestand in einer sensiblen, fast aristokratischen Eleganz, die ihren Stil bestimmt. Und Zingraff könnte man wegen seiner Raumeleganz, Linienbeherrschung, Spannung und Bewegung, seines distanziert räumlichen Blicks, seines Spiels zwischen Realem und Virtuellem und vielem mehr als erstklassigen Renaissance-Künstler des 21. Jahrhunderts bezeichnen. Weit geht er über die Grundsätze des Konstruktivismus, der wichtige Bezugspunkte für ihn hat, hinaus.


Als diese Kunstrichtung in den 20er Jahren (Aron Scharf dixit) entstand, hatten ihre Anhänger weder die Absicht einen abstrakten Stil zu schaffen, noch eine Kunstrichtung für sich hervorzubringen. Im Mittelpunkt stand vor allem die Überzeugung der Künstler, die physischen Bedürfnisse der Gesellschaft mit direktem Kontakt zur maschinellen Herstellung und den grafischen und fotografischen Kommunikationsmedien zu steigern.


Im Sinne dieser Philosophie oder diesem Ästhetikkonzept könnte man die künstlerische Grundlage Zingraffs sehen. Seine Werke vereinen Weisheit und Sensibilität, Collage, technisches Zeichnen, Licht und Farbe zu einem utopischen, räumlichen Konstruktivismus. Zingraff ist ein so kraftvoller Konstruktivist, dass er vor sich selbst fliehen kann. Auf seinen Bildern dient die Collage der Definition von Landschaften real bebauter Räume, mechanisch, verglast, in denen stets Lichtflächen mit klärender Funktion auftauchen und "Luftheit" schenken. Dieses Konzept hat schon van Doesburg fasziniert, als er die Grundlagen der Kunstrichtung nach einer die Zeichnung an der farblich und motivisch äußerst reichen Fotografie orientierenden Formel schuf.
Von diesem Blinkwinkel aus projiziert sich der Raum auf eine Unendlichkeit, die ihn unbegrenzt in der unanfechtbaren Kraft der Linie und der Farbflächen erscheinen lässt. Am bemerkenswertesten ist, dass es dem Künstler gelingt, das Unbegrenzte einzufangen, indem er selbst die Ebene beschreibt, Abwechslung ins Spiel gewagter Schatten - sowohl der echten als auch der gemalten - bringt, um eine Anamorphose von Realität und Erscheinung zu schaffen (auch deswegen können wir ihn als einen Renaissance-Vertreter bezeichnen), die eine Architektur der Linien und Fläche umschließt, die in strahlende Anspielungen voller Farbe verwandelt werden.


Dagegen entstehen Kraft der Konstruktion und geometrischer Radikalismus eben durch die vielschichtige Wirkung einer zarter Zeichnung, die wie aus Luft scheint. Gleiches gilt für das diese Eindrücke verstärkende Licht. Oft leuchtet das Licht aus der Farbe oder dringt aus einem undenkbaren Bildwinkel (oder sogar durch elektrische Beleuchtung) und bewirkt eine sicht- und tastbar sich auflösende Atmosphäre.


Und so kommt es, dass die Leuchtkraft der Bilder, ihrer Farben, Schatten sowie Dynamik der Linien oder Winkel, und vor allem die harmonische Ordnung in ihren vielen Ausprägungen eine klare Plastizität schaffen, die zweifellos stark ornamentalen Charakter hat. Das alles hat nichts mit der Realität zu tun, ist vielmehr Teil einer mächtigen Utopie der Ästhetik.
Erstaunlich ist, wie Raum durch extreme Vereinheitlichung in einem dynamischen und statischen Umfeld so menschlich wird: Glaubwürdige Widersprüche voller emotionaler Güte.